In Ägypten, der Literatur und natürlich der archäologischen Fach- und Laien-Welt geben sich jene Menschen, die die Geheimnisse um den Bau der Pyramiden gelöst haben wollen, das Maßband in die Hand. Und das seit Jahrhunderten wenn nicht Jahrtausenden. So auch am 1. November in Kairo. Internationale Forscher wollen durch Feldforschungen im Steinbruch Hatnub nahe Tel el-Amarna Hinweise und Belege gefunden haben, „wie die alten Ägypter vor 4.500 Jahren tonnenschwere Steine bewegen konnten“. Dr. Mustafa Waziri, Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, und die beteiligten Archäologen aus Großbritannien und Frankreich sind überzeugt, dass diese Entdeckungen auch den Bau der Pyramiden zum Teil erklären könnten. Was sie dort entdeckt haben, warum die Presse mal wieder Aliens in Spiel springt, ob das Rätsel tatsächlich gelöst wurde und was die Forscher wirklich sagten, erfahrt Ihr hier.
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Jahrtausende Rätselraten
Eigentlich ist das Problem der Ägyptologen, Hobby-Forscher und „alternativen Historiker“ zum Bau der Pyramiden in Ägypten überaus simpel zu beschreiben:
Über 100 große, mittlere und kleine Pyramiden stehen am Nil verteilt. Riesige uralte Bauten wie die Cheops- oder Chephren-Pyramide in Gizeh ebenso, wie kleine Bauwerke, die heute mehr an Schutthaufen von wenigen Metern Höhe als an echten Pyramiden erinnern. Und besonders faszinieren hierbei natürlich die großen Pyramiden von Gizeh oder auch jene in Daschur.
Denn obwohl es in Ägypten an zum Teil uralten Schriften und Inschriften wimmelt, suchen die Forscher bis heute vergeblich nach Texten zum Bau dieser Monumente für die Ewigkeit. Die wenigen Zeugnisse, die heute vorliegen, sind entweder von den Araber notierte „Märchen“ und „Legenden“ – oder sie verraten nichts darüber, wie genau man diese Berge aus Stein errichtet hat.
Genau das lässt seit Jahrhunderten ungeahnte Spielräume für Spekulationen und Ideen. Teilweise reichen diese bekanntlich von Atlantis bis zu den Sternen. Und ebenso bekanntlich werden in schöner Regelmäßigkeit seit vielen Jahren die Pyramiden-Rätsel angeblich gelöst, entzaubert oder durch neue Ideen in diese oder jene Richtung vermeintlich belegt. Eine endlose Liste …
Da aber bis dato nichts von den Alten Ägyptern gefunden wurden, auf denen sie festhielten, wie genau sie ihre Pyramiden errichtet haben, stehen Forscher vor einem Dilemma. Es gibt inzwischen eine Vielzahl ein eindeutigen Hinweisen, klaren Belegen und harten Fakten zum Bau der Pyramiden. Aber im Detail stehen auch die Ägyptologen hierbei vor einem ungelösten Rätsel der Antike.
Die Aliens waren es (nicht)
Beliebt ist natürlich die Spekulation, dass die Astronautengötter aus dem Kosmos die großen Pyramiden in Ägypten erbaut haben oder haben lassen. Nur hat diese Idee absolut nichts mit der Ägyptologie zu tun, die heute von tausenden Forschern der „etablierten Archäologie“ vor Ort durchgeführt wird. Eigentlich nimmt nicht ein einziger von ihnen solche Alien-Pyramiden-Thesen ernst oder würdigt sie überhaupt eines Blickes.
Aus diesem Grunde verwundern die aktuelle Neuigkeiten aus Ägypten, von denen verschiedene englische Zeitungen oder auch die englischsprachige „Luxor Times“ (30. Oktober 2018) berichten. Keine davon spricht irgendwie von Aliens, die die Pyramiden angeblich erschaffen haben, und was nun durch die neuen Funde in Tell Amarna widerlegt sei. Auch nicht Dr. Mustafa Waziri in seiner Funktion als Chef der ägyptischen Altertümerverwaltung, die auf Facebook am 31. Oktober dazu eine offizielle Meldung brachte.
Alle sprechen von den „alten Ägyptern“ oder ähnlich. Das News-Portal „Earth-Cronicles“ schrieb beispielsweise am 2. November:
„Die Wissenschaftler hoffen, dass ein gründliches Studium dieser Entdeckung es ermöglicht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, da alle frühen Menschen die Pyramiden bauten.„
Sehr ähnliche Worte fand auch „Science Alert“ am 1. November zum Thema. Keine Spur von Alien-Architekten aus dem All.
Wer aber die Ancient Aliens ins Spiel brachte, sind mal wieder (bisher wenige) die Boulevardmedien; die Regenbogenpresse. Es scheint heute wohl schon auszureichen, dass archäologische Meldungen und Neuigkeiten von „alten Ägyptern“ oder auch „Menschen“ von damals sprechen, um zu sagen: Alien-Pyramiden-These widerlegt. Ein Unding, da niemand ernsthaft annehmen oder glauben sollte, dass Außerirdische die Pyramiden gebaut haben.
„Spunik News“ ist eine der wenigen Seiten im deutschen Netz, die auch die Aliens in Spiel bringt. Auch wenn sie in den Berichten aus Ägypten keine Erwähnung fanden, titeltet „Sputnik“ am 1. November sogleich: „Doch keine Aliens: Forscher entschlüsseln Rätsel des Pyramiden-Baus“
So kann man durchaus warnend prophezeiten, dass weitere „Alien-Meldungen“ folgen werden, auch wenn es zu den Entdeckungen und ersten Berichten keinerlei Zusammenhang gibt.
Doch was genau sind die neuen Erkenntnisse, die den Bau der mysteriösen Pyramiden erklären oder erklären sollen?
„Ägyptens Große Pyramide: Mysterium endgültig gelöst!“
Die neuseeländisch“NZ Herald“ schrieb am 1. November in ihrer Headline, dass das Rätsel um den Bau der Cheops-Pyramide jetzt „endgültig gelöst“ sei. Viele ähnliche Titel kurieren aktuell. Etwa „IFL Science“, wo von einer „finalen Entdeckung“ geschrieben wird. Ausnahmslos alle Meldungen dieser Art sind überzogen!
In, um oder an der Großen Pyramide von Gizeh wurde zuerst mal überhaupt nichts gefunden oder entdeckt. Ja, nicht einmal überhaupt auf dem Plateau von Gizeh. Es handelt sich um Forschungsergebnisse, die im Rahmen eines internationalen Projektes des „Französischen Institut für orientalische Archäologie“ („Institut français d’archéologie orientale“, IFAO) in Zusammenarbeit mit der Universität Liverpool gemacht wurden.
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Hierbei wurden unter anderem „die Felsinschriften von Hatnoub“, einem Alabaster-Steinbruch 18 Kilometer südöstlich von Tel el-Amarna, untersucht und dokumentiert. Ebenso der 1891 von Percy Newberry und dem legendären Howard Carter entdeckte Steinbruch und die dortigen Hinterlassenschaften der früheren Arbeiter an sich. Datiert wird der Steinbruch auf das Alte und Mittlere Reich Ägyptens und vor allem auch auf die Zeit des Pharao Cheops.
Dr. Yannis Gourdon und Dr. Roland Enmarch und ihr Team hofften durch ihre Forschungen im Steinbruches und der einst dort angewandten Techniken Erkenntnisse darüber, wie die alten Ägypter vor Jahrtausenden mit tonnenschweren Steinen hantieren und arbeiten konnten. Und genau das soll ihnen in dem Steinbruch gelungen sein.
Rampen, Schlitten und Hebel im Steinbruch
„Obwohl das Hauptbaumaterial für die Pyramiden Kalkstein war“, schreibt zum Beispiel „Science Alert“, „wurde etwas Alabaster als Bodenbelag sowie für Statuen und Särge verwendet“. Die alten Baumeister sollen diese schweren Steinblöcke mittels einfacher Rampen aus den Steinbrüchen geholt haben, was die Untersuchungen in Hatnub belegen.
Da dieser Steinbruch aus den Tagen der Cheops-Pyramide stammt, so das Forscher-Team, können man auch dort sowie an anderen Baustellen/Steinbrüchen ähnlich gearbeitet haben. Das gilt für den Abbau von Bausteinen ebenso wie für Statuen und alles andere, was die Ägypter in ihren Steinbrüchen produzierten. Bekanntlich war das nicht gerade wenig.
Dr. Yannis Gourdon in der „Luxor Times“ dazu:
„Die Mission entdeckte erfolgreich ein einzigartiges System, um die Steinblöcke vom Boden des Steinbruchs zu ziehen und zu transportieren. Nachdem die Trümmer entfernt wurden (…) kann dies auf die Regierungszeit von König Khufu der 4. Dynastie datiert werden. Das Bewegungssystem besteht aus der zentralen Rampe, die von zwei Treppenstufen umgeben ist, und enthält Stangenlöcher, die das Anheben des Alabaster-Steinblocks durch eine mindestens 20% -ige (damit ist die Steigung der Rampe gemeint, Anm. LAF) Grobrampe unterstützen.
Es wurden mindestens 100 Inschriften entdeckt, die an pharaonische Expeditionen in die Alabaster-Steinbrüche von Hatnub vom Alten Reich bis zum Neuen Reich erinnern.„
Die Entdeckung dieses Hebel- und Rampen-Systems in Hatnoub sei „von großer Bedeutung, die unser Verständnis des Bauwerkes völlig verändert“ schreibt die ägyptischen Altertümerverwaltung unter Dr. Waziri auf Facebook. Es sei das erste Mal, dass ein System entdeckt wurde …
„…um Blöcke aus Steinbrüchen zu bewegen und zu transportieren, und wie die Alten Ägypter die tonnenschweren Blöcke während der Bauzeit der Großen Pyramide mit primitiven Rampen angehoben haben.“
Ist der Pyramiden-Bau und die bisher unbekannten Techniken dahinter damit geklärt? „Es gibt jedoch viele Meinungsverschiedenheiten darüber, mit welchen Methoden genau dies erreicht wurde“, schrieb zum Beispiel „Newsweek“ am 1. November ganz richtig. Nur leider ist die fraglos interessante und spannende Steinbruch-Entdeckung der Archäologen sicher keine Erklärung des Pyramiden-Baus.
Eigentlich sollte das auch jedem einleuchten, der von diesen neuen Erkenntnissen liest oder schreibt.
Keiner sprach von „Mysterium gelöst“
Heute (2. November 2018) veröffentlichte auch die Universität Liverpool einen Artikel über die Arbeit ihrer Wissenschaftler in Ägypten. In dieser heißt es unter anderem:
„Uraltes Rampen-System für Steinbrüche hat den Arbeitern möglicherweise beim Bau der großen Pyramiden in Ägypten geholfen.
Wissenschaftler der Universität von Liverpool haben entdeckt, was möglicherweise die Überreste eines 4.500 Jahre alten Rampen-Systems sind, um die riesigen Alabasterblöcke zu transportieren, die beim Bau der großen Pyramiden in Ägypten verwendet wurden.“
Ägyptologe Dr.Roland Enmarch betont, dass der Steinbruch von Hatnub eine „prestigeträchtigste Quelle für ägyptischen Alabaster“ vor 4.500 Jahren war. Viele der gefundenen Inschriften, so der Forscher, zeigen zudem auf, wie „das Personal und die Logistik der Organisation von Expeditionen zu diesen Wüstensteinbrüchen“ damals funktionierte. Die gesamte Landschaft lässt die Strukturen aus der Bronzezeit, „die mit der Gewinnung und dem Transport von Steine zu tun haben“, erkennen. Von den Hütten der Arbeiter bis zu einer hervorragend erhaltenen Straße, die bis zum Nil, führt.
Die „äußerst gut erhaltene Rampe“ in dem Steinbruch zeige mit ihren Spuren von Pfostenlöchern, wie „die alten Technologien des Steintransportes und der Gewinnung“ funktioniert haben könnte. Durch Schlitten und den beiden neben der Rampe nachgewiesenen Treppenaufgängen konnten die Arbeiter die schweren Steinblöcke geradezu bequem herausziehen. „20 Prozent oder mehr“ Steigung seien hier möglich gewesen. Und weiter:
„Da diese Rampe auf die Herrschaft von Cheops datiert, bieten unsere Untersuchungen die aufregende Möglichkeit, weitere Einblicke in die Logistik und die Technologien zu bieten, die beim Bau dieser erstaunlichen Konstruktion verwendet wurden.„
Spätestens an dieser Stelle sollte jedem klar sein, dass von einer Lösung des Mysteriums Bau der Cheops-Pyramide eigentlich keine Rede sein kann.
Was wurde tatsächlich entdeckt?
Hatnub als ein beliebter Steinbruch vor bis zu 4.500 oder sogar mehr Jahren … ist natürlich keine Pyramide. Schon gar nicht die Cheops-Pyramide oder die Pyramide des Chephren daneben. So wurde auch überhaupt nicht geklärt, wie die alten Baumeister ihre riesigen Monumente für die Ewigkeit gebaut haben. Es wurde ein fehlendes Mosaiksteinchen im Puzzle der Fragen ergänzt. Unterbewerten sollte man das aber auch nicht, um dies an dieser Stelle zu unterstreichen.
Wenn in Hatnub die Arbeiter diese Technik aus Rampen, Treppenaufstiegen, Seilen und Schlitten nutzten, nutzten sie diese sicher auch anderswo. Was funktioniert, sprach sich fraglos auch bei den Pharaonen und ihren Architekten herum. So konnten die Bauherren diese oder jene Bausteine schlagen und mittels Rampe aus den jeweiligen Steinbrüchen schaffen. Von da ging es für den auserwählten Stein weiter über Straßen bis zum Nil oder einen eigenes dafür geschaffenen Kanal, dort auf einen Lastenkahn und so kam dieser letztlich am Ort seiner Bestimmung an.
Ein Kraftakt von Organisation, Planung , Technologie und Logistik, dem die Archäologen nun weiter auf die Spur gekommen sind.
Es waren dabei aber immer „Ausnahme-Steine“. Die bei Weitem meisten Bausteine der Pyramiden von Gizeh sind weicher Kalkstein, der direkt vor Ort abgebaut wurde. Noch heute kann man überall vor Ort sehen, woher diese Steinen genau kamen. Auch Spuren der Werkzeuge sind für jeden sichtbar auf dem ganzen Plateau vorhanden.
Eine Rampe – nicht die Rampe
Beim Wort „Rampe“ im Zusammenhang mit „Pyramide“ schüttelt es die meisten Grenzwissenschaftler oder auch Hobby-Historiker. Zurecht. Es schütteln sich dabei aber auch die etablierten Archäologen des Mainstream. Wirklich niemand behauptet, dass die Pyramiden mit gigantischen Rampen erbaut wurden, auf denen die Arbeiter die Steine auf Schlitten bis an die Spitze zogen. Welch absurde Vorstellung und gewaltiger Arbeitsaufwand der Bau so einer Rampe ist, wissen sicher alle Mystery- und Pyramiden-Fans.
Wobei der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben darf, dass es nachweislich Reste von Rampen in Gizeh gibt. Da der weit größte Teil der verbauten Steine einer Pyramide sich im unteren Bereich befindet, werden die Bauherren hier wohl ihre Rampen angebaut haben. Nur: Wie dann weiter? Das ist eben – unbewiesen!
Die Rampen-Technik von Hatnub sagt nur aus, dass man so Bausteine aus dem Steinbruch heraus bekommen konnte. Wie diese dann aber wirklich an ihrem vorgesehenen Platz an oder in eine Pyramide kamen, sagt die nicht. Damit ist der Bau der großen Pyramiden auch durch diese neuen Erkenntnisse der Forschung nicht geklärt. Und das haben die beteiligten Ägyptologen auch gar nicht behauptet.
Das behaupten nur Headlines und Artikel im Netz, die von den Arbeiten um Yannis Gourdon, Roland Enmarch & Co. berichten.
Was denkt Ihr? Diskutiert gerne bei Facebook mit.
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Lars A. Fischinger
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